Aus Anlass der aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und den Grünen hat Bremens Landesbehindertenbeauftragter Dr. Joachim Steinbrück den Spitzenkandidaten sowie den Verhandlungsführern von SPD und Grünen ein Papier zugeleitet, in dem er seine Anforderungen an eine Koalitionsvereinbarung formuliert hat. Es umfasst acht Punkte und bezieht sich auf die Politikfelder Arbeitsmarkt, Bauen und Verkehr, Bildung und Erziehung, Soziales und Wissenschaft.
Aus Sicht des Landesbehindertenbeauftragten ist es erforderlich, dass die Behindertenpolitik zukünftig integraler Bestandteil aller Felder staatlichen Handelns wird. Nur so könne eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen am Leben in der Gesellschaft und eine selbstbestimmte Lebensführung erreicht werden.
Der allgemeine Rückgang der Arbeitslosigkeit hat sich bisher kaum auf die Situation arbeitssuchender Menschen mit Behinderung ausgewirkt. Deshalb fordert der Landesbehindertenbeauftragte, verstärkt Integrationsbetriebe und projekte sowie unterstützte Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. Um einen gebündelten und koordinierteren Einsatz des zur Verfügung stehenden beschäftigungspolitischen Instrumentariums wie bisher zu erreichen, schlägt er den Abschluss einer Zielvereinbarung mit den in diesem Bereich tätigen Institutionen und Verbänden (Agentur für Arbeit, BagIS, Integrationsamt, Integrationsfachdienst, Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Senator für Arbeit, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften etc.) vor. In einer solchen Zielvereinbarung könnten konkrete Schritte zur Beschäftigungsförderung festgelegt werden.
Im Bereich der vorschulischen Erziehung und schulischen Bildung von Kindern mit Behinderung kann eine soziale Teilhabe nach Auffassung des Landesbehindertenbeauftragten nur erreicht werden, wenn ein integrativer und inklusiver pädagogischer Ansatz verfolgt und umgesetzt wird. Sowohl Kinderkrippen als auch Kindertagesstätten seien auf eine inklusive frühkindliche und vorschulische Pädagogik auszurichten. Auch müsse die kooperative sowie integrative/inklusive Beschulung von Kindern mit Behinderung weiter ausgebaut werden.
Um dem Ziel eines selbstbestimmten Lebens für Menschen mit Behinderung näherzukommen, hält es der Landesbehindertenbeauftragte für notwendig, nicht nur dem Grundsatz "Ambulant vor Stationär" mehr Geltung zu verschaffen; vielmehr sei damit einhergehend ein Wunsch- und Wahlrecht bei der Wohnform für Menschen mit Behinderung erforderlich.
Um ein solches Wahlrecht in Bezug auf die Wohnform tatsächlich zu verwirklichen, sollten nach dem Vorschlag des Landesbehindertenbeauftragten das Sozialressort, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände sowie die Behindertenverbände eine Zielvereinbarung "Wohnen" abschließen, in der nach einer Bestandsaufnahme die konkreten Schritte zur Verbesserung des Wohnangebots und zur Förderung des Grundsatzes "Ambulant vor Stationär" festgelegt werden könnten.
Weitere Vorschläge des Landesbehindertenbeauftragten in seinem 8-Punkte-Papier beziehen sich auf
- den Bereich Bauen und Verkehr, in dem die bisherigen Ansätze zur Herstellung von Barrierefreiheit weiterentwickelt werden sollen,
- die Förderung des persönlichen Budgets, auf das ab dem 01.01.2008 ein Rechtsanspruch besteht,
- die Vermeidung von negativen Auswirkungen der Föderalismusreform durch die Schaffung entsprechender landesgesetzlicher Regelungen,
- die Weiterentwicklung des Bremischen Behindertengleichstellungsgesetzes und
- den Schutz von Studierenden mit Behinderung vor Benachteiligungen durch den "Bologna-Prozess" im Hochschulbereich.
Die "Anforderungen an eine Koalitionsvereinbarung aus der Sicht des Landesbehindertenbeauftragten" sind veröffentlicht auf der Internetseite www.Behindertenbeauftragter.Bremen.de unter dem Link "Veröffentlichungen".
Zu seinem 8-Punkte-Papier meint Bremens Landesbehindertenbeauftragter Dr. Joachim Steinbrück:
“Ich kann mir gut vorstellen, dass SPD und Grüne meine Überlegungen in ihren Koalitionsverhandlungen berücksichtigen. Schließlich handelt es sich nicht um unrealistische und utopische Forderungen. Vielmehr haben meine Vorstellungen ihren Praxistest in anderen Ländern, insbesondere auch dem SPD-regierten Rheinland-Pfalz bereits bestanden. Und mit ihrer Umsetzung kann mehr soziale Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung erreicht werden. Hierauf hinzuwirken, ist ein Auftrag an die Politik, der sich unmittelbar aus der Bremischen Landesverfassung ergibt. Ich meine damit ihren Artikel 2 Absatz 3, wonach der Staat die gleichwertige Teilnahme von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gemeinschaft fördert und auf die Beseitigung bestehender Benachteiligungen hinwirkt."