Seit Oktober 2011 ist in Bremen die erste barrierefreie gynäkologische Praxis, ein gemeinschaftliches Projekt des Klinikums Bremen-Mitte, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Senatorin für Gesundheit, eröffnet.
Hier finden Sie den Flyer barrierefreie gynäkologische Praxis Bremen (pdf, 251.5 KB)
Die Initiative hierfür ging im August 2008 von der Beratungsstelle Selbstbestimmt Leben, dem Bremer Netzwerk behinderter Frauen sowie der Bremischen Gleichstellungsstelle aus. Sie wiesen in einer gemeinsamen öffentlichen Veranstaltung darauf hin, dass es in Bremen und Bremerhaven keine gynäkologische Praxis gibt, die für Frauen im Rollstuhl uneingeschränkt barrierefrei zugänglich und nutzbar ist, mit der Folge, dass es für Frauen mit Behinderung nicht selbstverständlich ist, regelmäßige gynäkologische Untersuchungen in Anspruch zu nehmen.
Die Praxis im Klinikum Bremen-Mitte ist barrierefrei erreichbar und verfügt über eine besondere Ausstattung, die man sonst so nicht in Bremen findet: dazu gehört ein höhenverstellbarer und absenkbarer Untersuchungsstuhl, ein Hebelifter, eine höhenverstellbare Liege und selbstverständlich ein rollstuhlgerechtes WC.
Die gynäkologische Spezialambulanz wird von zehn niedergelassenen Frauenärztinnen gemeinsam genutzt, die abwechselnd jeden Mittwochnachmittag Sprechstunden anbieten. Dass behinderte Patientinnen eine solche freie Arztwahl treffen können, ist im gynäkologischen Bereich bislang eine Ausnahme.
Bis dato gibt es solche Spezialsprechstunden in Dachau, Erlangen, Berlin, Frankfurt/Main und nun in Bremen.
"Wichtig ist meines Erachtens, dass wir uns dafür einsetzen, die Gebührenordnung so zu verändern, dass behinderungsbedingt längere Behandlungseinheiten entsprechend abgerechnet werden können", erläutert Bremens Landesbehindertenbeauftragter Dr. Steinbrück.
Durch die Einsetzung eines Rundes Tisches wurden die verschiedenen Probleme im Vorfeld gelöst. Mitgearbeitet haben dort: die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF), die Senatorin für Gesundheit, die Kassenärztliche Vereinigung Bremen, der Berufsverband der Frauenärzte, die Ärztekammer Bremen, SelbstBestimmt Leben e.V., das Bremer Netzwerk behinderter Frauen, einzelne Krankenkassen und der Landesbehindertenbeauftragte. Der Runde Tisch wird sich auch in Zukunft treffen, um u.a. die bisherige Auslastung, die allgemeinen Erfahrungen sowie die organisatorischen Abläufe in der Praxis im Klinikum-Mitte zu besprechen.
Gemäß der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen muss nach Artikel 25 gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderung Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten haben. "Die gynäkologische Versorgung von Frauen mit Behinderung ist in Deutschland kaum gewährleistet. Trotzdem sich Deutschland mit der Ratifizierung der BRK zu bezahlbaren Gesundheitsversorgung verpflichtet hat, ist dies im gynäkologischen Bereich noch nicht gewährleistet. Die Einrichtung zentraler Schwerpunktpraxen für Frauen mit Behinderung bzw. die flächendeckende Einrichtung von gynäkologischen Spezial-Ambulanzen sind ein erster Schritt, um unserer Verpflichtung im Sinne der Behindertenrechtskonvention BRK nachzukommen und diese umzusetzen. Von dem Postulat einer freien Arztwahl sind wir noch ein großes Stück entfernt", so Bremens Landesbehindertenbeauftragter weiter.
"Ich begrüße diese Einrichtung, sehe aber die Umstände der Versorgung kritisch. Einerseits schließt die Ambulanz eine Versorgungslücke, andererseits schaffen wir im Grunde eine Sondereinrichtung", so
der Dr. Steinbrück weiter.
"Ich wünsche mir, dass noch mehr Angebote im Gesundheitsbereich barrierefrei nutzbar werden und auf die besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtet sind", so Dr. Steinbrück abschließend.
Um die Versorgungssituation langfristig zu verbessern, engagiert sich der Berufsverband der Frauenärzte auch auf dem diesjährigen Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie (FOKO) in Düsseldorf. Dr. Joachim Steinbrück hat in diesem Zusammenhang beim Kongress am 08.03.2012 in Düsseldorf einen Vortrag mit dem Titel "Gynäkologische Versorgung behinderter Frauen in Deutschland" gehalten (bei Interesse kann der Redebeitrag gerne vom Büro des Landesbehindertenbeauftragten zugesendet werden).