"Mit der Schulreform in Bremen hat das Land die Weichen für ein inklusives Bildungssystem gestellt, weitere Anstrengungen sind aber erforderlich," erklärte Dr. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, anlässlich der Veranstaltung "Das Bremische Schulsystem und die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen" des Landesbehindertenbeauftragten, Dr. Joachim Steinbrück, am 23. Juni 2011.
Die Monitoring-Stelle ist 2008 vom Deutschen Bundestag und Bundesrat mit der Begleitung der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention (BRK) beauftragt worden. Darüber hinaus soll die Stelle die in der Konvention verankerten Rechte fördern und schützen. Sie ist im Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt, der Nationalen Menschenrechtsinstitution Deutschlands.
In seinem Vortrag "Das Recht auf inklusive Bildung nach Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention und seine Bedeutung für die Schulgesetze der Länder" wies Aichele darauf hin, dass das Recht auf Bildung ein Menschenrecht sei und dass dieses Menschenrecht für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt gelte. Die Konvention gehe davon aus, dass das Recht auf Bildung am besten in einem inklusiven Bildungssystem verwirklicht werden könne. In einem inklusiven System könnten Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam lernen, Schülerinnen und Schüler sollten demnach wohnortnah eine hochqualifizierte Bildung und Förderung erhalten. Ziel des Schulrechts müsse deshalb sein, den rechtlichen Rahmen für den Aufbau eines solchen Bildungssystems vorzugeben, so Aichele.
Bremen, so führte Aichele aus, habe mit der Auflösung der Förderzentren bei gleichzeitigem Aufbau von Zentren für unterstützende Pädagogik an den allgemeinen Schulen wichtige Strukturentscheidungen getroffen, die in die richtige Richtung eines inklusiven Schulsystems gingen und mit der Konvention im Einklang stünden.
In der Übergangszeit, so Aichele weiter, könne die Kapazitätenbeschränkung öffentlicher Schulen gerechtfertigt werden, vorausgesetzt, die gegebenen Plätze würden diskriminierungsfrei vergeben und bei einer darüber hinausgehenden Nachfrage im Rahmen "angemessener Vorkehrungen" Lösungen gefunden. Außerdem müssten die Strukturen inklusiver Bildungsangebote im Sinne progressiver Verwirklichung weiter zielstrebig und wirksam orientiert an den tatsächlichen Bedarfen ausgebaut werden. Ziel müsse im Übrigen sein, die Ungleichbehandlung verschiedener Behinderungsarten zugunsten einer rein individuellen Behandlung aufzulösen.
Der Landesbehindertenbeauftragte hatte in seiner Einführung dargelegt, dass die Nachfrage für die integrative Beschulung ab Klasse 5 seit 2010 im Förderschwerpunkt Lernen, Sprache, Verhalten sehr groß sei und die bestehenden Kapazitäten im vergangenen Schuljahr an die Grenzen kamen. Behinderungsarten würden im jetzigen System unterschiedlich behandelt, so Dr. Steinbrück.
Nach dem Bremischen Schulgesetz sollen die drei Förderzentren für Hörgeschädigte, Sehgeschädigte sowie für körperliche und motorische Entwicklung dauerhaft erhalten bleiben. Dies warf die Frage auf, welche Entwicklungsperspektive die drei Förderzentren vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Schulen im Lande Bremen, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln, haben.
Schließlich wies der Leiter der Monitoring-Stelle darauf hin, dass er im Schulgesetz und im "Entwicklungsplan Inklusion" (EPI) zwar ansatzweise Aussagen zu "angemessenen Vorkehrungen" wiederfinde, jedoch eine adäquate gesetzliche Verankerung noch vermisse. "Angemessene Vorkehrungen" seien individuelle Maßnahmen, die auf die Überwindung von Barrieren im Einzelfall gerichtet seien. Es werde zwar nichts Unmögliches abverlangt, aber es bestehe die Pflicht, das Mögliche möglich zu machen. Eine zumutbare bauliche Veränderung, die den Zugang zur Schule für ein Kind sicherstelle, wäre beispielsweise eine angemessene Vorkehrung. Die Verweigerung "angemessener Vorkehrungen" bewerte die Konvention als eine Diskriminierung, die unbedingt zu vermeiden sei. Aichele sprach sich dafür aus, das Gesetz um die Regelungen zu "angemessenen Vorkehrungen" zu ergänzen, um hierdurch auch einzelfallbezogene Lösungen zu erleichtern.
Während der anschließenden Diskussion brachten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass der Prozess der Herausbildung inklusiver Schulen durch die auch im Bildungsbereich vorgesehenen personellen Kürzungen gefährdet werden könnte.
"Die Veranstaltung hat mir noch einmal deutlich gemacht, dass es noch viel zu tun gibt. Die Inklusion muss ressourcenmäßig abgesichert werden, das heißt vor allem muss das erforderliche Personal auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Und dann müssen Standards dafür entwickelt werden, was unter inklusivem Unterricht zu verstehen ist, damit der Begriff der Inklusion nicht nur eine Worthülse bleibt, in deren Schatten die Ausgrenzung behinderter Kinder und Jugendlicher, die es in unserem Bildungssystem noch gibt, fortgesetzt wird", so Bremens Landesbehindertenbeauftragter Dr. Steinbrück abschließend.